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Vom Waschbär und seinen Untaten

Waschbär Copyright Julia Hy-KellerDer Bundesjägertag 2012 war ein schlechter Tag für Waschbär, Marderhund und Mink. Denn auf dem Traditionsjäger-Treffen in Pforzheim gab der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) bekannt, dass sich diese Beutegreifer „rasant“ ausbreiten. „Ihr Einfluss auf die heimische Tierwelt in Deutschland ist nachgewiesen“, hieß es schonungslos. Eine wahrheitsgemäße Feststellung, die beispielsweise auch für Murmeltier, Maulwurf und Marienkäfer gilt.

Diese Erkenntnisse sammelten deutsche Jäger in 27.000 Revieren und belieferten damit das „Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands“, das ebenfalls der DJV betreibt. Der Bandwurm-Name war notwendig, damit die Abkürzung WILD dabei herauskam. Und WILD hat wissenschaftlichen Anspruch. Deshalb wurde die Pforzheimer Verlautbarung auch von allen Landesjagdverbänden verbreitet. Der hessische Verband tat das in seiner Vereinszeitung „Hessenjäger“, Ausgabe 7/2012, Seite 14. Ungekürzt und ungeprüft.

In Hessen fing alles an

Lassen wir Marderhund und Mink einmal beiseite. Deren Untaten werden vom DJV nur am Rande erwähnt. Im Visier hat die Lodenmantel-Holding vor allem den Waschbär. Eine Kleinbärenart, die mit Hessen tief verbunden ist. Wurde doch 1934 am Edersee eine Handvoll dieser maskierten Amerikaner ausgewildert. Mit Genehmigung des Landesjagdamtes und unter dem Beifall der Jägerschaft, versteht sich.
Von Hessen aus hat sich der Waschbär seither erwartungsgemäß ausgebreitet und mittlerweile große Teile Deutschlands besiedelt. Doch damit nicht genug. Der DJV stellt klar, dass die Waschbären „für den Niedergang der stark gefährdeten Europäischen Sumpfschildkröte in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern“ verantwortlich gemacht würden. Wohlgemerkt: nicht vom DJV und seinem WILD. Offenbar von dritter Seite, womöglich von der Wissenschaft. Doch darüber erfährt man nichts. „In Sachsen-Anhalt hat der Waschbär Europas größte Graureiher-Kolonie mit bis zu 420 Brutpaaren auf dem Gewissen“, so der DJV weiter. „Und in Thüringen haben Waschbären bereits jeden fünften Horst des Uhus, unserer größten einheimischen Eulenart, erobert.“

Der DJV als Eulenfreund ?

Zunächst einmal verwundert, dass der DJV als Bundesverband der Traditionsjäger, sich so rührend um Schildkröten, Reiher und Eulen sorgt. Das ist irgendwie neu und verweist auf tieferliegende Motive, die es zu ergründen gilt.
Sucht man nach Beweisen für das angeführte Strafregister, kommt man am Institut für Forstzoologie der TU Dresden nicht vorbei. Dort wird der Waschbär seit gut zehn Jahren von Wildbiologen erforscht. Das deutsche Kompetenzzentrum für „maskierte Amerikaner“.
Dort ist zu erfahren, dass „es sich beim Waschbären um einen ausgesprochen generalistisch lebenden Sammler handelt, der Nahrungsressourcen nutzt, die in hoher Zahl verfügbar sind und bei dem bis heute eben keine wissenschaftlichen Daten vorliegen, die einen ernsthaften Prädationsdruck belegen. Dagegen zu behaupten, ein negativer Einfluss des Waschbären auf die heimische Fauna ist in Deutschland „nachgewiesen“, entspricht nicht der aktuellen Datenlage“.
Dieses Zitat entstammt keiner Telefonrecherche, sondern einem Brief von Frank Michler an den DJV, indem er zu dessen Behauptungen auf dem Bundesjägertag Stellung nimmt. Michler ist Wildbiologe an der TU Dresden. Er schreibt weiter:

„Bei dem von Ihnen genannten Beispiel zur Sumpfschildkröte in Brandenburg sprechen die Autoren von „Indizien“, die auf von Waschbären verursachte Prädationsereignisse hinweisen (Schneeweiß & Wolf 2009) und nennen vier (!) Fälle bei denen Prädationsspuren an den Fundresten von verendeten Sumpfschildkröten zu sehen waren, die von Waschbären stammen könnten. Wir hatten die Möglichkeit die vorhandenen Sumpfschildkrötenpanzer selber zu besichtigen und kommen zu demselben Ergebnis – weiterführende Aussagen über die Todesursachen sind auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse nicht möglich. Dass Waschbären auch adulte Schildkröten erbeuten können, kennen wir aus Nordamerika. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass in der ursprünglichen Heimat des Kleinbären bis heute keine Schildkrötenart durch ihn nachhaltig gefährdet, geschweige denn ausgerottet wurde.Auch gibt es bis heute keinen ernsthaften Hinweis darauf, dass es der Sumpfschildkröte in Brandenburg bzw. im südlichen Mecklenburg-Vorpommern ohne die Anwesenheit des Waschbären auf popularer Ebene wirklich besser gehen würde.
Die Gefährdungsursachen für die Sumpfschildkröte sind außerordentlich vielseitig, ebenso das potentielle Prädatorenspektrum (u.a. Graureiher, Kranich, Weißstorch, alle Raubsäuger, Schwarzwild, Ratten etc.), so dass es ökologisch wenig Sinn macht der Öffentlichkeit zu suggerieren, der Waschbär stelle die größte akute Gefahr für das Fortbestehen der Sumpfschildkröte in Deutschland dar. Eine reine Schwarz-Weiß-Betrachtung ist an dieser Stelle nicht zielführend. Wir teilen jedoch die Ansicht, in den Vorkommensgebieten der Sumpfschildkröte den Waschbären straff zu bejagen, da es momentan das ökologisch geringere Risiko darstellt. Es ist aber nicht nachvollziehbar, auf dieser Grundlage eine deutschlandweite Bekämpfung des Waschbären zu fordern, wenn die Sumpfschildkröte in weit weniger als einem Prozent des Waschbärenverbreitungsgebietes vorkommt. Eine differenzierte Information, die die Relationen der Gefährdungspotentiale berücksichtigt, wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen, um einer sachlich-fundierten Öffentlichkeitsarbeit gerecht zu werden. Fachlich problematisch wird es allerdings bei den folgenden Aussagen zu der Graureiher-Kolonie in Sachsen-Anhalt bzw. der Verdrängung des Uhus in Thüringen. Hier werden Beobachtungen – zum einen negative Entwicklungen des Reproduktionsgeschehens bei Graureiher bzw. Uhu und zum anderen das Vorhandensein des Waschbären im betroffenen Gebiet – in wissenschaftlich nicht vertretbarer Weise in einen Kontext gebracht.
Die Aussagen einer direkten Korrelation können nach bisherigem Wissenstand als These formuliert werden, mit wissenschaftlichen Methoden geprüft wurden sie bisher in keinem der Fälle. Fachlich entsprechen diese Aussagen in etwa der Behauptung, dass die Größenzunahme des Menschen in den letzten Jahrzehnten in einem direkten Zusammenhang mit dem Klimawandel steht. Hier ist klar die Wissenschaft gefordert den (oben genannten) beobachteten Phänomenen auf den Grund zu gehen. Jedoch ist es auch hier nicht zielführend, Einschätzungen bzw. vorgefertigte Meinungen als wildbiologisch fundierte Ergebnisse darzustellen – ein transparenter Wissenstransfer muss anders aussehen.“

Soweit, so schlecht - für die Glaubwürdigkeit des DJV und seiner Landesjagdverbände, die offenbar nicht davor zurückschrecken, ihre eigenen Mitglieder für dumm zu verkaufen. Bleibt die Frage nach dem Motiv für das hemmungslose Zurechtbiegen der Fakten.
Für viele Kritiker reduziert sich ja das Kerngeschäft der traditionellen Jagdverbände auf das Sichern und Erweitern der Liste jagdbarer Tierarten. Das ganze „Naturschutzgedöns“ der Traditionsjäger gilt ihnen lediglich als Maskierung dieses Anliegens gegenüber der Bevölkerung. So gesehen, ist die Motivlage klar: das Mobbing der Waschbären soll die Jagd auf relativ „possierliche Tiere“ begründen, deren Plüschversionen deutsche Kinderzimmer schmücken. Der „Amerikaner mit der Maske“ wird zum ausrottenden Monster stilisiert, das daher ebenfalls auszurotten ist. Da hat dann der Weidmann auch ein gutes Gewissen, wenn er mal wieder einen vor der Flinte hat.

Schlagfallen für den Naturschutz ?

Das zweite Motiv des DJV wird deutlich, wenn er in seiner Pforzheimer Erklärung die angeblich wissenschaftliche WILD-Zählerei durch 27. 000 verbandseigene Jagdpächter hernimmt, um so den Fortbestand der Fallenjagd zu fordern. Da WILD ja die fortschreitende Invasion der gefährlichen Kleinbären belegt, muss sie der Jäger auch weiterhin in Fallen fangen dürfen – verbrämt als angebliche Feldforschung. Je nach Rechtslage in den Bundesländern auch mit tödlichem Gerät.

Der DJV forderte folgerichtig in Pforzheim „ein verstärktes Monitoring nichtheimischer Arten sowie deren effektive Kontrolle. Unabdingbar ist dabei der Einsatz von Fallen, da Waschbär, Marderhund und Mink nachtakiv sind. „Ein Verbot der Fallenjagd wie von manchen Kreisen gefordert, wäre kontraproduktiv für den Naturschutz“, betonte DJV-Präsident Hartwig Fischer.“ (PM des DJV v. 08.06.2012)

Damit wäre dann die Katze endgültig aus dem Sack. Wahlweise auch der Waschbär.

Hannes Dursch-Dewald / 10.09.2012
 
Links:

Pressemitteilung DJV v. 08.06.2012: http://www.jagdnetz.de/wild

Brief von F. Michler, TU Dresden, an den DJV (PDF)

Forschungsergebnisse zum Waschbär: http://www.projekt-waschbaer.de/aktuelles/stellungnahme-oekologie/